Bad Simple English: 15 Gründe, warum Dolmetscher Mehrwert schaffen
In diesem Jahr konnte ich mein 20-jähriges Berufsjubiläum als Konferenzdolmetscherin feiern. Wenn ich auf meine bisherige berufliche Laufbahn zurückblicke, fällt besonders ein Trend auf: Immer mehr internationale Konferenzen und Meetings verzichten ganz auf Dolmetscher und werden auf Englisch abgehalten – auch wenn Englisch für die Mehrheit der Teilnehmer und Redner eine Fremdsprache ist.
Die Entscheidung für Englisch als Lingua Franca wird meist mit der erhofften Kostenersparnis begründet. Aber zahlt sich diese Ersparnis wirklich aus? Schließlich besteht die Rechnung aus mehr Faktoren, als auf den ersten Blick erkennbar sein mag.
1. Begrenztes sprachliches Repertoire
Redner, die nicht aus dem vollen Repertoire ihrer Muttersprache schöpfen können, sind sprachlich eingeschränkt. Auch wenn laut dem EF English Proficiency Index[1] 62,35 % der Deutschen gute Englischkenntnisse haben, ist ihre sprachliche Kompetenz von der eines Muttersprachlers meist weit entfernt: Ein gebildeter englischer Muttersprachler hat einen aktiven Wortschatz von 10.000 Wörtern, von deutschen Abiturienten werden ca. 3.000 Wörter erwartet. Und während Deutschland immerhin Platz neun im EF English Proficiency Index belegt, liegt Frankreich auf Platz 32. Insbesondere bei einem international sehr gemischten Publikum muss man deshalb von einem eher niedrigen Niveau, also Bad Simple English, ausgehen.
2. Sprache als Ausdruck von Kompetenz
Nicht wenige Redner erwecken durch die Verwendung von Englisch den Eindruck, nicht sonderlich kompetent zu sein. Ich habe schon Fälle erlebt, in denen ein Redner, der eine fachliche Koryphäe ist, sich schlichtweg blamiert hat, weil ihm Wörter nicht eingefallen sind und er begann, zu stottern.
3. Wichtig ist auch, was nicht gesagt wird
Weniger auffällig, aber trotzdem ungünstig für den Experten ist es, wenn er– besonders bei der Beantwortung von Fragen – nicht alles sagt, was er weiß, weil ihm die sprachlichen Mittel dazu fehlen.
4. Witzfreie Zone
Dazu kommt, dass alles, was einem Vortrag Farbe gibt und ihn unterhaltsamer macht, wie Wortwitz, Wortspiele und abwechslungsreiche Formulierungen, in der Fremdsprache deutlich reduziert ist. Der Vortrag wirkt trockener. Und wer die Situation, vor einem Publikum zu sprechen, sowieso schon nervenaufreibend genug findet, wird in der Fremdsprache wohl kaum lockerer werden.
5. Erschwertes Zuhören
Auch für Zuhörer mit einem relativ guten fremdsprachlichen Niveau ist das Zuhören auf Englisch erschwert. Jemand, der sein Englisch als Fremdsprache in den USA gelernt hat, hat vermutlich Verständnisprobleme, wenn ein Schotte spricht – ganz zu schweigen von der breiten Palette an nichtmuttersprachlichen Akzenten wie der griechische, italienische oder dänische, die bei einer internationalen Zusammensetzung an Redner geboten werden.
Auch die typischen Grammatikfehler der einzelnen Nationalitäten sind für Angehörige anderer Sprachgruppen oft schwierig nachzuvollziehen und erschweren das Verständnis.
6. Kleinster gemeinsamer Nenner
Wenn also ein Nicht-Muttersprachler Englisch spricht und das Publikum ebenfalls andere Muttersprachen als Englisch hat, bleibt nur noch der kleinste gemeinsame Nenner.
7. Wer versteht schon „echtes“ Englisch?
Wenn nun aber ein Redner aus dem englischsprachigen Raum stammt, sein Publikum aber weitgehend aus anderen Ländern kommt, ergibt sich eine andere Problematik: Die große Bandbreite der Akzente im Englischen – vom Südstaatakzent bis zu indischem Englisch – gepaart mit komplexen Satzstrukturen, einem sehr breiten Wortschatz (das Englische verfügt über doppelt so viele Wörter wie das Deutsche!) und einer meist hohen Redegeschwindigkeit bauen eine enorme Verständnishürde auf. Ich habe es nicht selten erlebt, dass bei Konferenzen, bei denen deutsche Redner vor deutschem Publikum auf Englisch sprechen, alle Zuhörer folgen können, doch sobald ein Brite spricht, greifen alle zu ihren Headsets, um lieber den Dolmetschern zuzuhören.
8. Kein Mut zu Fragen
Zuhörer, die einem Vortrag zwar auf Englisch folgen, bringen nicht unbedingt den Mut auf, Fragen zu stellen, wenn dies auf Englisch geschehen muss. Besonders bei Veranstaltungen, bei denen ein Dialog gewünscht ist, kann das zu einem etwas schleppenden Verlauf führen.
9. Wissen bleibt auf der Strecke
Der Erfolg der Wissensvermittlung ist also bei der Verwendung von Englisch als Lingua Franca reduziert. Dies wurde durch eine an der Universität Wien durchgeführte Studie bestätigt, die signifikante Unterschiede im Hinblick auf vermittelte Inhalte zwischen muttersprachlicher Vermittlung und Verwendung von Englisch durch und für Nicht-Muttersprachler feststellte[2].
10. Englisch macht müde
Wer sich schon einmal einen ganzen Tag nur in einer Fremdsprache verständigt hat, weiß, wie ermüdend das ist. Das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften hat dieses Phänomen erforscht und festgestellt, dass man in der Zweitsprache für die gleiche Leistung deutlich mehr Ressourcen braucht[3]. Laut den Wissenschaftlern liegt dies daran, dass „grammatische Verarbeitungsprozesse bei Fremdsprachlern nicht automatisiert sind“. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob es im Interesse eines Konferenzveranstalters sein kann, die Konferenzteilnehmer so müde zu machen, dass sie spätestens nach dem Mittagessen nicht mehr aufnahmefähig sind.
11. Emotionslose Zuhörer
Neben der Wissensvermittlung leiden auch andere Ebenen der Kommunikation: Bei Veranstaltungen, bei der die Menschen emotional erreicht werden sollen, wie etwa bei Verkaufsveranstaltungen oder auch bei Fortbildungsseminaren, ist die Verwendung von Englisch als Lingua Franca ebenfalls kritisch zu sehen. Wie die Zeit berichtet, legt „die Muttersprache einen tieferen emotionalen Resonanzraum in uns [an]….Ihre Worte lösen stärkere emotionale Reaktionen bei uns aus.“[4]
12. Interkulturelle Reibungsverluste
Oft nicht erkannt werden auch die kleinen Reibungen, die durch kulturelle Unterschiede ausgelöst werden, wenn etwa ein Deutscher nicht so oft „please“, „would you“ oder „could you“ sagt, wie sein britisches Gegenüber es von einem höflichen Gesprächspartner erwartet.
13. Durch Sprachkenntnisse definierte Zielgruppe
Schon im Vorfeld einer Konferenz – bei deren Vermarktung – spielt es eine große Rolle, ob Englisch als Lingua Franca eingesetzt werden soll. Mit der Beschränkung auf Englisch findet auch eine Beschränkung des Kreises potentieller Redner und Konferenzteilnehmer statt. Durch die Voraussetzung für Redner, auf Englisch vorzutragen, werden Sprachkenntnisse – nicht Fachkenntnisse – zum entscheidenden Kriterium für die Rednerauswahl.
14. Aufeinander zugehen
Nicht zuletzt ist die Möglichkeit des Gebrauchs der Muttersprache ein Zeichen des Entgegenkommens. Auf der Website des Goetheinstituts steht dazu: „Es ist im Interesse aller Sprecher, ob Fremdsprachler oder Muttersprachler, dass ihre Sprache in möglichst vielen Situationen gebraucht wird. Daraus bezieht sie ihren Wert als Kommunikations- und Kognitionsmittel wie auch als berufliches Qualifikationsmerkmal”. Konferenzteilnehmer aus Italien, Spanien und Frankreich werden sich auf einer Veranstaltung sicher sehr viel willkommener fühlen, wenn sie auf Italienisch, Spanisch und Französisch angesprochen werden, als wenn sie auf Englisch reduziert werden.
15. Und was soll das kosten?
Immer wieder höre ich von Konferenzveranstaltern, dass die Kosten für echte Mehrsprachigkeit mit Hilfe von Dolmetschern zu hoch sind.
Wenn man jedoch bedenkt, wie viel erfolgreicher eine Konferenz insgesamt werden kann, wenn die qualifiziertesten Redner auftreten, der potenzielle Teilnehmerkreis nicht durch Sprachbarrieren begrenzt wird, keine Zeit durch sprachliche Missverständnisse verloren geht, die Teilnehmer emotional und inhaltlich bestmöglich erreicht werden, wird schnell klar, dass Dolmetscher eine lohnende Investition darstellen.
[1] https://www.ef.de/epi/
[2] http://othes.univie.ac.at/16750/
[3] http://www.cbs.mpg.de/institut/forschung/zweitsprache
[4] http://www.zeit.de/zeit-wissen/2015/02/sprache-veraenderung-persoenlichkeit/seite-2
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